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Löwe Koketterie
Lȫwe, m., –n; Löwchen, lein; –n -:
1) ein großes und starkes Raubthier aus dem Katzengeschlecht, Felis leo, der „König der Thiere“, vgl. Adler (im Reineke Fuchs etc. „König Nobel“), das Weibchen die Löwin: Der L. brüllt, springt auf seine Beute; Der Welf oder das Junge des L–n; Die Stärke, der Muth, die Großmuth, der königliche Blick, der Adel des L–n; Die Mähne, der Schwanz, Schweif, die Klaue, Tatze, Pranke des L–n etc.; Der „Lew“ [s. Anm.], mächtig unter den Thieren und kehrt nicht um vor Jemand. Spr. 30, 30; Da der „Lewe“ und die „Lewin“ mit den „Jungenlewen“ wandeleten. Nah. 2, 13; Er hat auf mich gelauret wie ein „Lewe“ im Verborgen[en]. Klagel. 3, 10; Der Teufel gehet umher, wie ein brüllender Lewe und suchet, welchen er verschlinde. 1. Petr. 5, 8 etc., s. Eppendorf 50 ff.; Oken 7, 1638 ff.; Ryff 58 ff. etc., auch Grimm Myth. etc. Außer manchen Abarten auch ähnliche Thiere, nam.: Der rothe oder amerikanische L., F. concolor, Kuguar.
2) die Figur des L–n sehr häufig verwendet, z. B.: 1. Kön. 7, 22 ff.; 10, 20 etc.; auf Siegeln: Mit dem Löwchen gesiegelt. G. 23, 208 etc., nam. oft:
a) auf Wappenschildern (vgl. 3b) als Zeichen des Muths, der Tapferkeit, des Adels etc., s. Flügel-L. etc.
b) daher oft als Schiffsbild, nam. auf holländ. Kriegsschiffen, „daher auch alle [Schiffs-Bilder L–n genannt wurden.“ Bobrik 112.
c) auf andern Schildern, z. B.: Daß bei den meisten Bäckerläden eine Brezel abgemalt ist, welche 2 L–n halten. Tieck NKr. 2, 84 etc., nam. auch auf Schildern von Apotheken und Wirthshäusern, die oft bloß nach dem Schilde bezeichnet werden (vgl. Adler 2c): Zog in den L–en [L–n-Apotheke]. Hackländer 6, 94 etc. und: Die Gäste .. | vom goldenen L–n paßten wohl auf. Cham. 3, 193; 190; Der Wirth zum goldenen L–n. G. 5, 4; Die Apotheke zum Engel so wie den goldenen L. 28; Genoß dann und wann im L–n eine Flasche Wein. Hebel 3, 456; 497 etc.
d) Name zweier Sternbilder: Der große u. der kleine L. u. nach jenem das 6te Zeichen des Thierkreises, also der Mitte des Sommers entsprechend: Gegenwärtig, wo die Sonne im L–n steht, was in Neapel keine Kleinigkeit ist. Platen 7, 39; V. Hor. 2, 255; W. HB. 1, 165 etc.
3) vielfach übertr. zu 1) z. B.:
a) in Bezug auf die Stärke (s. l–n-stark etc.): Wir hatten 4 L–n von Pferden. Rachel 1, 95 etc.
b) (s. a, 2a und L–n-Herz, -muthig etc.) in Bezug auf Muth, tapfern Sinn, Hoheit, edles, königliches Wesen etc.: Juda ist ein junger Lewe. 1. Mos. 49, 9; Es hat überwunden, der Lewe, der da ist vom Geschlecht Juda. Off. 5, 5 (s. H. R. 7, 236); 5. Mos. 33, 22 etc.; Wie kommt es . ., | daß euer Löw’ und Lamm und Aar [der von Euch so Gepriesene] | .. den guten Anselmo so schmählich vergisst? Cham. 3, 225; Wir sahen Alle . ., | du junger Löw’, auf dich. Gleim 4, 20; L–n in Gefahren | und Lämmer beim Pokal. Langbein; Wenn diese L–n im Gefechte hier am Krankenbett eine Geduld .. üben, die etc. Sch. 1106b; Ihr L–n der Schlacht. 82b; Stieß er den todten L–n mit einem Fußtritt von sich [nach bekannter Fabel]. 1075a; Gingen sie schnell, zween L–n an Muth. V. Jl. 10, 297; Wir, die wir .beim Tokaier saßen, waren wirkliche L–n geworden. Zschokke 8, 378 etc., auch als Beiname: Heinrich derL. (vgl. Welf) etc.
c) in Bezug auf die Blutgier —, räuberisches, verderbliches Wesen, Wuth, Ingrimm etc.: Schädliche Fürsten nennet die Schrift Lewen, Drachen und wüthende Thier. Luther 1, 476b; Ihre Fürsten sind unter ihnen brüllende Lewen. Zeph. 3, 3; Spr. 28, 15; Ich liege mit meiner Seelen unter den Lewen. Ps. 57, 5; 58, 7; Daß Israel Jedermanns Raub sein muß; denn die Lewen brüllen über ihn und schreien und verwüsten sein Land. Jer. 2, 15; Sei nicht ein Lew in deinem Hause und nicht ein Wütherich gegen dein Gesinde. Sir. 4, 35 etc.
d) Bez. der Mächtigen, Großen, Hohen etc., theils nach b, theils nach c: Die Throne gehen in Flammen auf, die Fürsten fliehn zum Meere, | die Adler fliehn, die L–n fliehn, die Klauen und die Zähne. Freiligrath Pol. 1, 71 [die räuberischen Tyrannen etc.]; Den L–n und Adlern der Gesellschaft, wie des Thierreichs eignet es, einsam zu lagern und zu horsten. König (Hausbl. 56) 1, 148 etc.
e) eine ungewöhnliche, hervorragende, die Aufmerksamkeit des Publikums erregende Erscheinung, nam. Pers., frz.: Lion: Wir nennen jede ungewöhnliche ausländische Erscheinung einen L–n. Das ist [nordamerikanischer] Sprachgebrauch. Sealsfield Leg. 3, 124; Einen politischen L–n. Bode Empf. 4, 138; Mit der Stentorbrust eines zum Präsidentenstuhle sich eignenden parlamentarischen L–n. Gutzkow R. 1, 178; Den, der L. des Zirkels war. 339; Einer der L–n der musikalischen Saison. Heine Lut. 1, 244; 2, 9; Zum „L–n“ der Societät erhebt sich der Fribole. Prutz Woch. 17; Scherr Nem. 1, 125 etc., und weibl.: Eine Deutsche und eine der elegantesten, schönsten, blondesten und verrufensten Löwinnen von Paris. Es ist sehr merkwürdig, welchen großen Erfolg unsere schönen Landsmänninnen haben, wenn sie sich mit Energie und Ausdauer darauf werfen, Lionnes zu werden. Sie überstrahlen dann alle französischen Löwinnen, die doch den Ruf größerer
Koketterie und höherer Grazie haben. Hartmann Erz. 177; Einer sehr bekannten Löwin unserer Tage, der ehemaligen Lola Montez. Stahr Jahr. 1, 50 etc. Dazu:
Wehe Demjenigen, der sich um diese Zeit zu einem Löwenthum post festum eignet. JKinkel Jb. 1, 94. f) Alchem.: Der König (s. d. 5m) der Metalle, das Gold und seine vermeintlich gewonnene Grundlage: Da ward ein rother Leu [s. Anm.], ein kühner Freier | im lauen Bad der Lilie vermählt. G. 11, 44; Der rothe, grüne L. etc.
4) zuw. statt der best. durch die Zsstz. bez. Thiere, s. Ameisen-L.
Anm. Ahd. leo, lewo, louwo, ahd. lewe, leu, aus lat. leo, gr. λéν, was aus dem Orient stammt, s. hebr. (l’wi), (lawi) etc., schwerlich von lüwen (brüllen), s. Lo, Anm. Áltre Formen: Der Esel mit dem Lawen. .. Der Law. Luther 1, 360b; Die jungen Lawen. Waldis Ps. 58, 4, Reim „vertrawen“ (vertrauen) s. u. Häufiger: Lewe, s. o. Stellen aus Luther, ebenso Eppendorf, Ryff etc., mit doppelter Form des Genit., vgl.: Hilf mir aus dem Rachen des Lewen. Ps. 22, 22; Ich bin erlöset von des Lewens Rachen. 2. Tim. 4, 17. Hauezähne des Lewens. Ryff Th. 60 etc., vgl.: Des Löwens Glanz. Opitz 1, 14; In Löwensart. 146 etc. und noch: W. Luc. 1, 160; Vor dem Dräun des Morgenlöwens. G. 4, 228; In König Lö- wens Monarchie. Gleim 3, 232, wo freilich L. gleichsam als Eigennamen erscheint (auch: König Löwe’s etc.), vgl. den uv. Dat.: Dem rechten zweifüßigen Wolf und Lewe. Luther 5, 269b. Über die Aussprache vgl. Spate 2, 15: „Wo in den Büchern noch aw und ew steht, so wird es au und eu ausgesprochen“ (s. mau) und z. B. Reime wie: Ohne Schewen [Scheuen] | . . bei den Löwen. Opitz 1, 35; Löwen| Dreuen. Lohenstein Sophon. 2. v. 31 ff.; Ein Löwe | der . uns dreue. Kleop. 14 v. 495 etc.; Löwen | .. gereuen. Rollenhagen Fr. 563; Löw | .. Scheu. 529; Löuen | .. abscheuen. 114 (vgl. die Schreibw.: Der Löu. Brockes 1, 571; Des Löuen. 573; Der Löuen Aufenthalt. Weichmann 3, 315). Andrerseits aber: Ein Schloß bauen und Thurm darneben, | mit Namen zu den Wasserlewen. Rollenhagen Fr. 549, wie HSachs G. 1, 172 „Löwen“ und „eben“ reimt etc. (vgl. die jedenfalls auffälligen Reime: Löwen und Höhlen. W. 11, 67; und sehen. 15, 518). Die Form Leu(e) gilt noch heut in der gehobnen Sprache (also z. B. nicht für 2b), so: Der Leu. (s. 3f.). Echtermeier 75, 77; Freiligrath 1, 58; WHumboldt 3, 60; Platen 6, 23; Rückert Rost. 51b; Schlegel Rich. 2, 1, 1; Simrock N. 879; Strecksuß Rol. 10, 84 etc.; Der Leue. Daumer H. 246; Echtermeyer 75; Reithard 77; Rückert Rost. 19a etc.; Leuen im Genit. Beer Arr. 109; Pfeffel Po. 3, 79; Rückert Rost. 21a; Dieses Welflein jenes Leuen. Mak. 2, 230; Uhland 441 etc., Das Fell des gewaltigen Leun. V. Il. 10, 23; im Dat.: Entreißt die Beut dem Leuen. Echtermeyer 77; Es artet in Zeiten der Welf nach dem Leuen. Rückert Mak. 1, 71 etc.; Acc.; G. 12, 158; Einen Leun. Rost. 82a; V. Ar. 1, 168 etc., Mz.: Platen 2, 31 und o. Daneben zuw. uv. in Dat. und Acc. der Ez.: Der Leu und Ur gefällt. Baur (Echtermeyer 79); Vom Leu bis zum Insekt. Falk Mensch. 14; Dem Leu und Panther gleich. 105; Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken. Sch. 80a etc.
Zsstzg. z. B.: Āmeisen-: ein zu den Florfliegen gehöriges Insekt, Myrme[co]leon, Ameisenjungfer, und nam. dessen Larve, die sich im Sand eine trichterförmige Grube gräbt und in dieser hineinfallenden Ameisen, Fliegen etc. auflauert und die gefangenen aussaugt. Kerner Bild. 163; Der A., von welchem die Alten Nichts wußten, ist jetzt mit seiner List und seinem Trichter fast zum Sprichwort geworden. Oken 5, 819; 1451 ff., auch: So wirft der Löwe eine Schaufel Sand nach der andern in die Höhe, bis er die Ameise unten zwischen seinen Fängen hat. 1452 etc.
Bérg-: als eine besondre Abart: Spuren von der Tatze des kleinen ungemähnten B–n (Leoncito de monte oder Puma chiquito nennen ihn die Spanier). Humboldt KlSchr. 1, 65 etc., aber auch: ein im Gebirg lebender Löwe überh. V. Th. 25, 11; Bergleu. Od. 9, 292; Il. 5, 136 etc.; B–in. Gervinus Sh. 1, 183.
Bláttlaus-: eine Gattung Florfliegen, nam. von Blattläusen lebend, nach der Ahnlichkeit mit dem Ameisen-L–n benannt. Oken 5, 1447 etc.
Flūgel-: geflügelter Löwe, in Wappen etc., z.B. Venedig’s, und so auch für diesen Staat selbst: Den meergewalt’gen Flügelleuen, | der beide Ufer schon des Po verheert. Streckfuß Rol. 15, 2 etc., vgl.: Jener neptunischen Stadt, allwo man geflügelte Löwen | göttlich verehrt. G. 1, 269; Platen 2, 105; 4, 235; Wir sahn den Markus-L–n [von Venedig] | zum fernen Strand entführen. 1, 222. Góttes- [3b]: ein tapfrer Gottesstreiter: Ali, der Gottesleu. Rückert Morg. 1, 114. Hāūpt- [3e]: Bald wurde er der H. des Tages. Schlönbach Orig. 1, 130.
Hȫhlen-: ein fossiler Löwe der Vorwelt.
Mánn-: ein löwenhafter Mann: O Heldenvorfechter .., o Mannleue. Rückert Nal 38.
Márkus-: s. Flügel-L. Mêêr-, Sēē-, Wásser-: eine Art gemähnter Ohrenrobbe: See-L., Otaria jubata, s. Giebel 143, minder gut bei Ältern für die Rüsselrobbe, Phoca proboscidea, vgl.: „Man gab ihm unglücklicherweise den Namen Meer-L., obschon es keine Mähne hat.“ Oken 7, 1462 etc., und für große Meerwunder bei Dichtern etc.: See-L–n, Kraken. Streckfuß Rol. 8, 54 etc.
Wínter-: Bez. eines im Winter des Lebens, im Alter Löwenmuthigen. Schlegel Sh. 8, 180.
Wúrm-: eine im südl. Frankreich sich findende Fliege, Leptis vermileo, und nam. deren in der Lebensart dem Ameisen-L–n ähnliche Larve, s. Oken 5, 817 etc.