Faksimile 0920 | Seite 912
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Kitzel
Kitzel, m., –s; uv.; –chen; -: ein wie zitternde
Bewegung empfundner Nervenreiz zu Luſt und Lachen,
danach auch übertr.: etwas den Sinnen Schmeicheln-
des, Wohlgefallen Erregendes, ſie angenehm Reizen-
des, und ferner (vgl. Jucken 1) eine auf Befriedi-
gung der Sinnenluſt ausgehende und dadurch hervor-
gerufne Begierde; ein übermüthiger Reiz oder Trieb,
Etwas, was man nicht ſo ſollte, zu thun: Sie haben
eine Elephantenhaut, zarten K. fühlen ſie nicht, man muß
ihnen eine Stange in die Rippen ſtoßen. Börne 2, 447; Ihm
den Kützel zu vertreiben. Gellert 1, 245; Myſtifikationen ſind
und bleiben eine Unterhaltung für müßige mehr oder weniger
geiſtreiche Menſchen. Eine läßliche Bosheit, eine ſelbſtgefällige
Schadenfreude ſind ein Genuß für Diejenigen, die ſich weder
mit ſich ſelbſt beſchäftigen, noch nach außen wirken können.
Kein Alter iſt frei von einem ſolchen K. G. 20, 199; Fühl-
ten einen K., ihn wo möglich zu verſuchen und ihm einen
Streich zu ſpielen. 22, 195; Den K. erſchlaffter Sinnen.
Heinſe A. 2, 55; Romanenleſen, das alle einfache, natürliche
Gefühle .. verzerrt .. und an deren Stelle einen erkünſtelten
K. der Phantaſie und Eitelkeit ſetzt. Klinger Teutſch. 53; Aus
bloßem K. werde ich zuverläſſig nie unhöflich gegen Herrn
Klotz ſein. L. 11, 409; Soll ihn bloß der K. getrieben ha-
ben ꝛc. 10, 223; Nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines
fremden K–s zu morden. Gal. 3, 8; Der Kützel, immer da-
von zu ſkribbeln. Lichtenberg 4, 361; Warum erſtumpft in
meinem Herzen | ſo ſchnell der Kützel jeder Luſt? Nicolai 1,
91; 92; 257; Ihm den Kutzel, wo nicht gar vertreiben,
doch ein wenig ſänften und ſtillen. Luther 6, 30b; 1, 296b;
Wenn er dem geilen K. eines Augenblicks 10 Jahre eures
Lebens aufopfert. Sch. 105a; Ein gutes Vieh, | den nie der
K. ſtach, nach Wann, Warum und Wie | bei irgend einem
Ding zu fragen. W. 12, 7; Ein guter Bürger, den der K. |
der Herrſchſucht nie in ſeinem Leben ſtach. 32, 298; Was
hilft ihm Sang und Saitenſpiel | und all der K. ſtumpfer
Sinnen? 10, 293 ꝛc.
Anm. Das Zeitw. ahd. chizilôn u. chuzilon, woraus
ſich die Formen mit „u“ u. „ü“ neben dem gw. mit „i“ er-
klären, wohl, wie lat. titillare, Naturlaut (vgl. kittern, ki-
chern), der leiſen, leichten Nervenbewegung gemäß, doch vgl.
frz. chatouiller von lat. catullire, ſ. Diez 597. Vralt.
iſt das Ew. Kitzeln: einen Kitzel empfindend: Das ſie ſehr
nigern [neugierig] und kützeln ſind, Etwas zu hören von un-
ſerm Glauben. Luther 8, 15a.
Zſſtzg. vielfach, leicht zu verſtehn und zu mehren
nach dem Obigen, vgl. die von Luſt und Trieb, z.B.:
Schöne Künſte überhaupt nur als zeitvertreibende Künſte, de-
ren Zweck bloß Augen- und Ohren-K. ſei, betrachten. W.
34, 392; Schreiben, um den Autor(en)-, den Dichter-
K. zu befriedigen; Leckereien, die einen Gaumen-K. befriedi-
gen; Bellt .. der edlen Liebe Freude an | und billigt Nichts
an ihr als nur den Glieder-K. Alxinger D. 112; [Pferde],
die kein Haber-K. ſticht. Langbein 2, 111; Wenn ... der
laue Favonius [Föhn] die Erde lockerte, ſo nannte er’s wol-
lüſtigen Jugend-K., wenn der Saft eintrat, Empfängnis ꝛc.
V. Ländl. 1, 128; Ihr Wohlgefallen an dieſem Melodien-
K. Tieck N. 4, 94; Neuerungs-K. (vgl. „Kutzelneue-
rung“ Spate 2, 25); Ohren-K.; DerSchreibe-, Schrift-
ſteller-K.; Sinnen-K.; Superklugheit und Verbeſſe-
rungs-K. u. v. ä.