Faksimile 0906 | Seite 898
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Kerl
Kérl, m., –(e)s; –e, –s; –chen; -: Mann, mit
ſich verſch. abſtufenden, oft freilich in einander übergrei-
fenden Begriffen (vgl. Bube, Burſch ꝛc.): 1) mit dem
der mannhaften Kraft und Tüchtigkeit (körperlich und
dann auch geiſtig), feſt, derb, kräftig, ſeinen Mann
ſtehend, ſich durch Nichts anfechten laſſend ꝛc., z. B.:
Ein ganzer K. G. 9, 289; Möſer Ph. 3, 233; 3, 37 ꝛc.;
Ein K. auf dem Platz; Ein K., den alle Menſchen haſſen, |
der muß ’was ſein. G. 3, 137; „Was nennt Ihr brave
K–s?“ Einen, der mittheilt, was er hat. 7, 226; Für den
K. in dir hab ich Mitgefühl, über den Schöngeiſt in dir richte
Gott einſt! Kühne Fr. 89; Eine Freude anzuſehen, was für
baumſtarke K–s. Möſer Ph. 3, 234; Ein hübſcher geſunder
K. Rabner 3, 18; Jeder rechte K. muß uns verachten. Sch.
534b; Nipp aus, mein Kördchen ... und werd’ ein Kord, der
ſich als K. verſuche. V. 4, 139; Eh noch ſein flaumig Kinn
der Diener eingeſeifet, | wird er ein voller K. 141 ꝛc.
2) der Begriff der Derbheit geht in den der Plumpheit
über, z. B.: Ich bin halt ein plumper, gerader, deutſcher
K. Sch. 187a und daraus entwickelt ſich die Bed.: eine
Mannsperſ., zunächſt aus den niedern Ständen (ſ. 4),
roh und ungebildet, dann auch umgewendet auf die
Niedrigkeit der Geſinnung, häufig als Schimpfw.:
Was ſo ein K., ſo ein dummer, gemeiner, niederträchtiger,
lauſiger, lumpiger K., der K. von Pfaffe wohl will?; Dieſe
rohen K–e. G. 23, 139; Die K–s nehmen keine Lebensart
an. 7, 210; Unleidlich, was die K–e in Halle ſudeln. L. 12,
189; Begegnete den ſchlechten K–en, wie ihnen gehörte. 13,
194 (FNicolai); Wie konnte ſonſt | der K. der Ackerknecht,
mich ſo bezwingen | im Ritterkampf? Tieck Cymb. 5, 2;
Dieſer Zuruf ſchien den alten K. ziemlich aus der Faſſung zu
bringen. W. 16, 14 u. o. 3) zuw. auch mit verächtl.
Sinn ein männiſches Weib; Schalt auf den dummen
Mann, der ſie einen K. nannte. König Kl. 1, 4 ꝛc. 4)
ohne hervortretenden ſchlimmen Sinn (ſ. 1 und 2):
eine Mannsperſon aus den untern Ständen, z. B.:
Ein K. [Bedienter] des Miniſters .. fragt nach dem Geiger.
Sch. 192a ꝛc., ſ. Poſt-K., nam. aber auch in Bezug auf
Liebes- oder Gatten-Verhältniſſe: Ihr K. [des Schiffer-
weibes Mann] iſt zur Türkei geſchifft. B. 288b; Was,
Menſch [ſ. d.], du meinſt, ich hätte deinen K. genommen? ꝛc.
Möſer Ph. 3, 46, vgl. Schm. 2, 330; Frommann 4, 133
und Bube 2. 5) nicht ſelten verkl., theils in der
Bed. des Winzigen, z. B.: Was? .. Ein K–chen mit ge-
tünchten Wangen, | ein Ding von Marcipan, | kommt und
begehrt ꝛc.! W. 11, 84, vgl.: Ein K., kaum drei Käſe hoch
ꝛc., theils (ſ. †Chen) in lobendem, bewundernden
Sinn oder auch in dem der mitleidigen Theilnahme ꝛc.,
z. B.: Ihr ſeid ein tapfres K–chen, Euch mag ich leiden.
Prutz E. 1, 25; Ein fixes K–chen. Muſ. 3, 245; Das
K–chen iſt höchſt empfindlich darüber. W. Merck 2, 136; Im
Grund iſt’s auch wirklich ein gut K–chen. 157 ꝛc. 6) zuw.
(ſ. Burſch 5) von gleichſam perſonif. Thieren ꝛc.: Wer
dächte, daß am Rheine | noch ſolch Geziefer [wie ein Löwe]
ſei! | Zwar hab’ ich es verwieſen | aus meiner Verſe Bann; |
doch kommt es mir auf dieſen | K. mehr juſt auch nicht an.
Freiligrath Garb. 83; Bedenke nur, der Leibgaul des ruſſiſchen
Geſandten, der iſt ein K. von Gewicht. Seume Sp. 331;
Sieh den Hecht, den ich gefangen. Jſt es nicht ein tücht’ger
K.? ꝛc., ſ. Schütze 2, 243 (von großen Früchten ꝛc.).
Anm. Ahd. charal, mhd. karl (ſo noch Eigenname)
und kerl, ſ. nam. Friſch 1, 501 (mit ſlaw. korol, kral (Kö-
nig) zuſammengeſtellt), vgl. engl. carl (ſ. 2) und churl, bäu-
riſch roher K. ꝛc. Veralt., mundartl. Nbnf.: Kehrl. Olea-
rius Reiſ. 248a; Wo will man jetzo wohl ſo einen Kar-
rels finden. Rachel 7, 546; Der gute Kerrel. 4, 202;
Andre Kerrel. 8, 290; Der ſtandfeſte Kärel. Schaidenreißer III
und dem Rhythmus nach zweiſilbig (– ⏑) K. Görner Kind. 2,
18 ꝛc., vgl. Frommann 4, 133, auch: Einem „Kerles“.
Gryphius Säug. 37. Die wechſelnde Form der Mz. ſ. o.;
Kerls, von ſyſtematiſierenden Grammatikern als „niederd.“
verworfen (ſ. S und Junge ꝛc.), findet ſich bei Schriftſt.
aus den verſchiedenſten Gegenden, z. B. Börne Par. 1, 259;
Böttiger Sab. 445; Freiligrath Garb. 169; G. 7, 42; 174;
210; 214; 225; 226; 228; 9, 7; 83; 84; 114; 125;
30, 191; 23, 88 [,,Kerles“ in der 60bändigen Ausg. 27,
121]; Merck 98; Heine Sal. 1, 38; Klinger F. 48 (K–e
49); Kohl Südr. 1, 101; König Kl. 2, 344; Leibnitz 1,
156; Lichtenberg 5, 177; Mörike N. 446; Möſer Ph. 1,
132; 3, 234; JvMüller 24, 209; FrMüller F. 23; Müllner
5, 132; 141; Riemer G. 1, 366; 368; Sch. (ſ. u.);
Schlegel Sh. 3, 67; Schubart 2, 122; Sealsfield Leg. 3,
161; W. Merck2, 72; 85; Willkomm Sag. 1, 66; Zſchokke
1, 217; 8, 303, wozu ſich noch viele Stellen bei Gortzitza
11 finden. Außerdem aber auch: Die Kerl. Forſter R. 1,
159; Heinſe A. 2, 18; Hippel A–Z 1, 404; Sch. (ſ. u.) ꝛc.;
Die Kerlen. Weidner 90; ChrWeiſe Maſ. 109; 163 ꝛc.,
der Ez.: Kerle 104 ꝛc. entſprechend; Einen klugen Kerlen
183 ꝛc. und vereinzelt (ſ. o. G. und in der Ez. Gryphius):
Das iſt dir ein Korps Kerles. Sch. 2, 66, was der Kor-
rektor [?!] der Ausg. in einem Bd. [117b] eigenmächtig in
„Kerle“ ändert, ebenſo wie die Formen: „Kerls“ 2, 24
[106b]; 27 [107b]; 68 [118a] ꝛc.; Ganze Kerl. 66
[K–e. 117a], während er nicht einmal konſequent, freilich
durch den Vers an der Ändrung gehindert Handfeſte K–s.
398b ſtehn läſſt. Für die Verkl. vgl. I. Karren, Anm.,
auch: Kerliches (pl.). FrMüller F. 60 ꝛc.
Zſſtzg. vielfach, leicht zu mehren nach den folgen-
den: Bāūer-: Unter den B–s. Immermann M. 4, 49;
Solche Bauernkerls wie du. Schubart 3, 55; Bauerskerl.
Zinkgräf 1, 33 ꝛc. Blítz-: (ſ. Blitz 2c). Schlegel
Haml. 5, 1 ꝛc., ebenſo Donners- (Prutz Muſ. 1, 201),
(Donner-)Wetter-K. ꝛc. Dréck- [2]. Hāūpt-
[1]: Gotthelf G. 338; Heine Reiſ. 2, 112. Jámmer-
[2]: Droyſen A. 1, 203. Lāūſe- [2]: Schlegel Sh. 1,
70; 6, 254 ꝛc. Lúmpen- [2]: L–s von Zeitungs-
ſchreibern. Börne Par. 1, 185. Mórd-: eig. Mörder
(ſ. Mordkind), dann aber auch wie Blitz-K. ꝛc.
Póſt-: Die Poſtmeiſter nennt man gewöhnlich hier [in
Rußland] nur Poſtillione und den fahrenden Mann den P.
Seume. Rīēſen-: Tieck NK. 3, 106. Schēīß-
[2]: Muſſt all’ die garſt’gen Wörter lindern, | aus Sch.
Schurk, aus Arſch mach Hintern. G. 6, 68; V. Ar. 1, 48.
Tēūfels-: Blitz-K. ꝛc. G. 3, 129; Zachariä 1, 11
ꝛc. Wétter-: Blitz-K. ꝛc.