Faksimile 0887 | Seite 879
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kauen Käuen
Kāūen, Kǟūen, intr. (haben) und tr.:
1) eig.: Speisen im Munde durch Zermalmung mittels der gegen einander bewegten Kiefern und zugleich durch Vermischung mit dem Speichel für die Verdauung vorbereiten (vgl. Mummeln etc.), übertr. auch auf geistige Speisen, auf etwas Einem im Leben Entgegentretendes, das man verdauen (s. d.) und überwinden muß: Mit des Speichels Saft befeuchtet und gekäuet. Brockes 9, 206; Harte Bissen giebt es [in der Welt] zu kauen, | wir müssen erwürgen odersie verdauen. G. 3, 35; Sie kauen [Druckf. „bauen“] längst an dem schlechten Bissen. 106; O glaube mir, der manche tausend Jahre | an dieser harten Speise kaut. 11, 72; Männer, die Haare auf den Zähnen haben, mit dem ekeln Brei halbgekauter Bissen mehr besudeln als speisen. Hamann 3, 439; Wer diesen [Sinn] übersieht und an den Hülsen käuet. H. R. 7, 360; In unserem Haus ist Nichts zu kaun noch zu käuen [zu beißen noch zu brechen etc.]. Rückert Mak. 1, 71; Werden die Erd müssen darob käuen [ins Gras beißen, sterben]. Schaidenreißer 58a; Ich kaue ordentlich jedes Wort [deines Buchs, versch. 4] und da giebt es mir denn auch ordentliche Nahrung. Zelter 2, 7; Taback kauen; Sich an Etwas die Zähne stumpf kauen etc. Anstatt daß Unsereiner wie ein wiederkäuendes Thier sich zu Zeiten überfüllt und dann Nichts weiter zu sich nehmen kann, bis er eine wiederholte Käuung und Verdauung ge- endigt hat. G. 24, 29.
2) zuw. nur: auf Etwas nagend wiederholt beißen wie ein Kauender, nam.: Die Nägel, die Finger, die Lippen oder daran kauen, als Zeichen der Ungeduld; Die (oder an, auf der) Feder kauen, beim Schreiben, grübelnd, wenn sich das Rechte nicht einstellen will; Die Schöne, die dahinter sitzt, | um ihren Rosenkranz mit schwerem Muth zu käuen. W. 11, 177 etc.
3) übertr.: sich mit Etwas wie mit einem Bissen, den man nicht glatt herunterbekommen kann immerfort beschäftigen, um damit zu Stande zu kommen: An einer einzigen Strophe Tage und Wochen lang zu käuen. ... Dann werden die scharfen Ecken und Spitzen weniger hervorragen. B. 482b; Ich käue auf meinen „Piissimum“ und wiederkäue ihn. L. 13, 271 (Schmid) = komme immer wieder und wieder darauf zurück, wer mit diesem Ausdruck gemeint sein mag.
4) Die Worte, Silben etc. k., gedehnt und langsam sprechen.
Anm. Ahd. chi(u)wan, mhd. kiuwen etc. S. Kiefer I und Käfer, Anm. Dazu mundartl.: Die Käu. Schm. (ahd. chiwa, mhd. ki(u)we) = Kiefer, Kieme, Kinn. Die Form ohne Umlaut darf, außer in „wiederkäuen“ als die gewöhnlichere bez. werden. Weralt. Partic.: Gekauen, s. Aus-k. 3.
Zsstzg. vgl. die von beißen, nagen etc., z.B.: Áb-: z. B. [2]: Sänn’ ich mich mager ... | und kaute die Nägel mir ab. W. 15, 2.
An-: Ein angekauter Bissen.
Āūf-: Das .. Adelspatent, das .. Motten fast aufgekäuet hatten. JP. 1, 23, s. Ver-k.
Aūs-:
1) zu Ende kauen: Nun mummelt er dumpf auskäuenden Backen den Ausspruch. V. 2, 119.
2) tr.: kauend aussaugen etc., nam. auch übertr.: Das Schiff kaut das Werk aus, macht so heftige Bewegungen, daß dies sich aus den Nähten herausarbeitet. 3) tr. [3]: Etwas durch Kauen [langes und mühseliges Arbeiten] herausbringen: Daß dieser Bogen hieselbst ausgekauen. Hamann 4, 450. I. Durch-: kauend [1und 3] durcharbeiten: Sie haben die Stellen nunmehr reiflicher erwogen, Alles mehr durchkauet. L. 13, 172 (Heyne); vgl.: Eben Das habe ich bei mir durchgekaut, als wir uns begegneten. V. Sh. 3, 540 etc. II. Dúrch-: 1) s. I. 2) refl.: Honigwaben, durch rr die er sich natternartig durchzukäuen habe. IP. 9, 182. Eīn-: Einem Etwas e., es vor-k. (s. d. und zer-k.) und ihm dann zum Verschlucken in den Mund stopfen (s. d.), eigentl. und übertr.: Greifliche Lügen, welche Petrus a Scoto .. der kaiserlichen Majestät .. eingekauet. Fischart B. 210b; Einbläuen und einkäuen. Luther 6, 154b. Nāch-:
1) eigentl.: Vorgekautes nachträglich kauen.
2) übertr.: Vorgekautes, Einem von einen Andern Eingepfropftes nachsprechend wiederholen. Ver-: auf-k., kauend verzehren, entzwei kauen, zerk. etc.: Jhre Tapferkeit sollen sie mir an ihren eigenen Nägeln verkäuen. G. 9, 88; Haben .. schon so viele Federn darüber verkauet [2] und am Ende doch nichts Genießbares herausgebracht. Hebel 4, 387; Die schale Lektür’ verkäuen, wenn ich nicht gar darben will. Musäus Ph. 1, 61. Vōr-: Einem Etwas vorkauen, es klein kauen, damit er das so in den Mund Gesteckte nur herunter zu schlucken braucht, eig. und übertr.: Es hätte denn die heil. röm. Kirch .. uns also die Päpp und Brei in ihrem saubern Mund vorgekauet und gleichsam mit einem Trichter eingegossen. Fischart B. 39a; Eine solche Katechismusmilch meinen Lesern noch vorkauen. L. 10, 88; Luther SW. 63, 364 etc., s. Ein-k. Wīēder-: wiederholt kauen, nam. eig. von den Säugethieren, den sog. „Wiederkäuern“, die die heruntergeschluckten Nahrungsmittel wieder heraufwürgen und zum zweiten Mal kauen und danach übertr., s. [1 und 3]:
1) Formbemerkungen:
a) selten ohne Uml.: Kühe, die man ruhen und wiederkauen sieht. Pückler Verst. 1, 96; Langweiliges wiedergekautes (s. b und 2b) Gewäsch. L. 13, 620 (KLessing); Ich habe es verschlungen und werde noch lange davon wiederkauen. 197 (Ebert); Ich kauete jedes Wort wieder, das sie mir zusprachen. Thümmel 2, 103.
b) Da die Vors. betont ist, so wird das Zeitw. am füglichsten als trennbare Zsstzg. behandelt, doch findet es sich auch oft genug als untrennbare, s. die mit * bez. Bsp. in 2.
c) mundartl.: Aderkauen, plattd. ahrekauen“ (z. B. Reuter Reis’ na Belligen 2), vgl. ferner: Wiederdäuen. 2) Bed.:
a) eig.: Der Hase wiederkäuet. 3. Mos. 11, 6*; Da steht mein Vieh und wiederkäuet. Claudius 4, 17*; Kant Phhs. Geogr. 2, 29“; Die Mütter [der Zicklein] käuen wieder. Immermann M. 2, 140; Lieg und wiederkäu in Ruh. V. 3, 103; 138; 2, 170; Ländl. 2, 283 etc.
b) übertr.: Was die Franzosen vierzig Jahre lang gekäut und wiederkäut, Das haben sie seit sechs Jahren verdaut. Börne Frzfr. 101; Jch will nicht mehr ein bischen Übel, das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen .., ich will das Gegenwärtige genießen und das Vergangene soll mir vergangen sein. G. 14, 5; Ich sehe [in dem All] Nichts als ein ewig verschlingendes, ewig w–des Ungeheuer. 63; 16, 124; Ich empfand nun keine Zufriedenheit als im W. meines Elends. 20, 258; 25, 117; 128; Zelt. 1, 327; Alle Stoffe, die man jetzt ihrem Gedächtnis anbietet, w. sie nicht. Gutzkow 3, 222; Bis zum Ekel wiedergekäuet. Mendelssohn 5, 263; Nun gehe er wieder an die ersten Begriffe und wiederkäue sie ohne Ekel. 705; Hatte Wladimir’s Parabel die Nacht über so sorgfältig wiederkäuet und verdauet. Musäus M. 3, 35*; Wiederkäuet’ ich .. das geführte Gespräch. Ph. 1, 151*; So würde in der geistigen [Welt] ein so abgeschabtes Leben sich ewig w. [wiederholen]. IP. 36, 15; Bis .. ihren Raub die Grüfte w. [wieder von sich geben]. Sch. 6b; Reue, die ihren Fraß wiederkäut und ihren eigenen Koth wiederfrisst. 113a; Zu Nichts nütze, als. die Thaten der Vorzeit wiederzukäuen [darüber redend]. 106b; Schlegel Mißd. 43*; Kleist sog jeden Balsamtropfen des Frühlings ein, so lang er dauerte; erst in den rauhen Wintertagen wiederkäute und malte er ihn. Thümmel 5, 11*; Meine Empfindungen aus dem verlaufenen Tage am Schluß desselben wiederzukäuen. 58; Ein wiedergekäuter Auszug. Vogt Köhl. XXXVII; VI; Das Allegorische ... reproduciert und wiederkäuet sich selber. Zelter 1, 228* etc.; Mich selbst mit Wiederkäuung dieser trübseligen Historie ärgern. Scherr Gr. 2, 180 etc. entzwei kauen, kauend zermalmen: Kindern den vorher wohl zerkauten Brei in den Mund drücken nennt man .. stopfen. Fichte 6, 17; Wo es [das Buch] ein kleiner Hund ... zerkaut, zerrissen hatte. G. 29, 238; Federn (14, 166), die Nägel (Sch. 589a) zerkauen [2] etc. u. ä. m.
Zer-: