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gähnen
Gǟhnen, intr. (haben): unwillkürlich den Mund
weit aufſperren; übertr. auch v. Sachen = klaffen:
1) krampfhaft mit tiefem hörbarem Athmen, vor Ab-
ſpannung, Müdigkeit, Langweile ꝛc.: Gähnt aus vol-
lem Rachen, ſo laut als eine Eſelin [vgl. iahen]. W. 12,
8; Der Zwang, den Herrn und Frauen nicht ins Geſicht zu
g. 53; Der Leſer . . lächl’ oft und gähn’, iſt’s möglich, nie!
158; Drückt Sie der Magen? Sie g. | ja einmal übers
andre. 15, 27; Über Etwas g.; Der .. beim Anfang voll
Verdruß ſchon nach dem Ende gähnet [gähnend verlangt].
Gieſeke. 2) klaffen, oft mit dem Nbnbegriff des Ver-
ſchlingenwollens ꝛc.: Zerſtückt .. gähnt die Rüſtung.
Alxinger D. 160; Die Hölle riß ſperrangelweit | das Maul
hier auf und gähnte. Blumauer 2, 121; Es gähnt ein Grab.
Chamiſſo 3, 274; 300; 305; Unter mir geſpenſtiſch gähnt
das ew’ge Nichts. Freiligrath 1, 188; Im gräßlich g–den
Geſtein. G. 12, 228; 1, 148; Der Wurzeln Knarren und
G. 11, 173. An jeder Vorderſeite gähnt | ein Schießloch.
Matthiſſon A. 8, 49; Als .. unter ihm das Todtenreich
ſchon gähnte. Sch. 6b; Mit g–der Kluft. 77a; Schwarz
aus dem weißen Schaum | klafft hinunter ein g–der Spalt.
63b; Hieß | die Fichte g. und heraus dich laſſen. Schlegel
Sh. 3, 28; [Wann er] reich aber hungrig ſtets nach größerm
Reichthum gähnet. Uz 2, 90; V. 3, 218; Th. 22, 125; So-
bald der Zauberdegen | den Thurm berührt, ſo gähnt der
Stein und ſpringt. W. 12, 207; 300; 3, 10 ꝛc. 3) zuw.
tr.: Die Kinnlad’ auseinander g. 33, 395 = ſie durch G.
aus einander bringen ꝛc.
Anm. Zuw. auch: Jähnen, z. B. Hagedorn 1, 62 ꝛc.;
ferner: Als ein Edelmann .. von Schlafgierigkeit geinete.
Zinkgräf 2, 52; Rabbinen .. die .. wider helles Licht nach dem
Meſſia gienen. IVAndreä Glaubenstriumph. 13. Veralt.:
Gähnemäulen dagegen. Luther 5, 212a, vgl. Gienmuſchel.
Veralt., mundartl. auch vom abſichtlichen Öffnen des Munds
und vom ſtaunenden = gaffen (ſ. d. und Gähnaffe), z. B.
Brem. Wörterb. 2, 686 (ſ. hojahnen u. vgl. hojappen.
Schütze 2, 147); Schm. 2, 52; Stalder 1, 416. Urvwdt.
lat. hiare, gr. αίίν ꝛc., ahd. geinón ꝛc. (Graff 4, 106),
mhd. ginen ꝛc. (Benecke 1, 527), vgl. giwen (543) und die
zu Gapſen angeführten Formen, ſ. auch Keim, Anm.
Zſſtzg. z. B.: An-: tr.: Einen gähnend (1 und
2) anſehn: Dieſe Stellen haben ſo viel A–des, Einſchlä-
ferndes. Börne Frz. 28; Wen ſie [die Göttin der Lang-
weile] angähnt. Heine Lut. 2, 269; W. 3, 185 ꝛc.; Gähnt
eine Höhl’ ihn an mit weiten Thoren. Meißner Gd. 130;
Das Ungethüm .. gähnt ſie an mit weitem, flammendem
Rachen. Sch. 624b. Āūf-: laut gähnen; ſich gäh-
nend [2] öffnen: Und gähnte hier die Erde vor mir auf |
und donnerte die See, mich zu verſchlingen. Grillparzer Sappho
114; Drunten gähnt der Abgrund auf. Rückert 1, 77; Weish.
1, 96 ꝛc. Aūs-: 1) intr.: zu Ende gähnen. Thüm-
mel 7, 157. 2) Etwas gähnend ausrufen: „Und
Pſyche“ gähnt ſie aus „war damals ſchon geboren?“
W. 3, 216. 3) refl.: vgl. 1: Sich nach Herzensluſt a.
Heine Lut. 1, 194. Be-: tr.: Einen, Etwas b., gäh-
nend anhören. I. Durch-: tr.: gähnend zu Ende
bringen: Was iſt eines Königs Leben, der ſeine Zeit durch-
gähnt? Heinſe A. 1, 187; Das Buch zu durchträumen, durch-
naſchen, durch j ähnen. H. 9, 443 ꝛc. II. Dúrch-:
1) tr.: = I. 2) refl.: ſich gähnend durcharbeiten,
z. B. durch ein Buch. DMuſeum 1, 2, 217. Eīn-:
intr. (ſein): gähnend einſchlafen: Die e–de Langeweile
zu beleben. Sch. 698b. Entgêgen-: Abgrund, der zu
deinen Füßen dir entgegengähnt. Prutz E. 1, 5. Er-:
tr.: gähnend erwerben: Ergähnt man ſich das Brot. Wer-
ner Kr. 1, 24. Hêr- ꝛc.: Wie eine unendliche Lücke
gähnt es aus meinem Geiſte herauf. Tieck N. 5, 182; Er
gähnt ſich hin [ſehnt ſich gähnend hin] zu ſeinen Wäl-
dern. Tiedge Ep. 1, 71. Mít-: mit Andern gähnen.
Nāch-: Wenn Einer gähnt, gähnen die Andern nach
(mit). Um-: tr.: gähnend umgeben: Abgründe
umgähnten mich zu allen Seiten. vHorn rhD. 2, 7.
Ver-: tr.: gähnend verbringen: Die Zeit v. ꝛc. Immer-
mann M. 2, 8. Zū-: Einem gähnend zuwinken,
zurufen, auch tr.: Abgrund und Chaos gähnen ihm ver-
ſchlingende Rachen zu. Tieck N. 6, 123 ꝛc.