Faksimile 0538 | Seite 530
gähnen
Gǟhnen, intr. (haben):
unwillkürlich den Mund weit aufsperren; übertr. auch v. Sachen = klaffen:
1) krampfhaft mit tiefem hörbarem Athmen, vor Abspannung, Müdigkeit, Langweile etc.: Gähnt aus vollem Rachen, so laut als eine Eselin [vgl. iahen]. W. 12, 8; Der Zwang, den Herrn und Frauen nicht ins Gesicht zu g. 53; Der Leser . . lächl’ oft und gähn’, ist’s möglich, nie! 158; Drückt Sie der Magen? Sie g. | ja einmal übers andre. 15, 27; Über Etwas g.; Der .. beim Anfang voll Verdruß schon nach dem Ende gähnet [gähnend verlangt]. Gieseke. 2) klaffen, oft mit dem Nbnbegriff des Verschlingenwollens etc.: Zerstückt .. gähnt die Rüstung. Alxinger D. 160; Die Hölle riß sperrangelweit | das Maul hier auf und gähnte. Blumauer 2, 121; Es gähnt ein Grab. Chamisso 3, 274; 300; 305; Unter mir gespenstisch gähnt das ew’ge Nichts. Freiligrath 1, 188; Im gräßlich g–den Gestein. G. 12, 228; 1, 148; Der Wurzeln Knarren und G. 11, 173. An jeder Vorderseite gähnt | ein Schießloch. Matthisson A. 8, 49; Als .. unter ihm das Todtenreich schon gähnte. Sch. 6b; Mit g–der Kluft. 77a; Schwarz aus dem weißen Schaum | klafft hinunter ein g–der Spalt. 63b; Hieß | die Fichte g. und heraus dich lassen. Schlegel Sh. 3, 28; [Wann er] reich aber hungrig stets nach größerm Reichthum gähnet. Uz 2, 90; V. 3, 218; Th. 22, 125; Sobald der Zauberdegen | den Thurm berührt, so gähnt der Stein und springt. W. 12, 207; 300; 3, 10 etc. 3) zuw. tr.: Die Kinnlad’ auseinander g. 33, 395 = sie durch G. aus einander bringen etc.
Anm. Zuw. auch: Jähnen, z. B. Hagedorn 1, 62 etc.; ferner: Als ein Edelmann .. von Schlafgierigkeit geinete. Zinkgräf 2, 52; Rabbinen .. die .. wider helles Licht nach dem Messia gienen. IVAndreä Glaubenstriumph. 13. Veralt.: Gähnemäulen dagegen. Luther 5, 212a, vgl. Gienmuschel. Veralt., mundartl. auch vom absichtlichen Öffnen des Munds und vom staunenden = gaffen (s. d. und Gähnaffe), z. B. Brem. Wörterb. 2, 686 (s. hojahnen u. vgl. hojappen. Schütze 2, 147); Schm. 2, 52; Stalder 1, 416. Urvwdt. lat. hiare, gr. αίίν etc., ahd. geinón etc. (Graff 4, 106), mhd. ginen etc. (Benecke 1, 527), vgl. giwen (543) und die zu Gapsen angeführten Formen, s. auch Keim, Anm.
Zsstzg. z. B.: An-: tr.: Einen gähnend (1 und
2) ansehn: Diese Stellen haben so viel A–des, Einschläferndes. Börne Frz. 28; Wen sie [die Göttin der Langweile] angähnt. Heine Lut. 2, 269; W. 3, 185 etc.; Gähnt eine Höhl’ ihn an mit weiten Thoren. Meißner Gd. 130; Das Ungethüm .. gähnt sie an mit weitem, flammendem Rachen. Sch. 624b. Āūf-: laut gähnen; sich gähnend [2] öffnen: Und gähnte hier die Erde vor mir auf | und donnerte die See, mich zu verschlingen. Grillparzer Sappho 114; Drunten gähnt der Abgrund auf. Rückert 1, 77; Weish. 1, 96 etc. Aūs-:
1) intr.: zu Ende gähnen. Thümmel 7, 157.
2) Etwas gähnend ausrufen: „Und Psyche“ gähnt sie aus „war damals schon geboren?“ W. 3, 216.
3) refl.: vgl. 1: Sich nach Herzenslust a. Heine Lut. 1, 194. Be-: tr.: Einen, Etwas b., gähnend anhören. I. Durch-: tr.: gähnend zu Ende bringen: Was ist eines Königs Leben, der seine Zeit durchgähnt? Heinse A. 1, 187; Das Buch zu durchträumen, durchnaschen, durch j ähnen. H. 9, 443 etc. II. Dúrch-: 1) tr.: = I. 2) refl.: sich gähnend durcharbeiten, z. B. durch ein Buch. DMuseum 1, 2, 217. Eīn-: intr. (sein): gähnend einschlafen: Die e–de Langeweile zu beleben. Sch. 698b. Entgêgen-: Abgrund, der zu deinen Füßen dir entgegengähnt. Prutz E. 1, 5. Er-: tr.: gähnend erwerben: Ergähnt man sich das Brot. Wer- ner Kr. 1, 24. Hêr- etc.: Wie eine unendliche Lücke gähnt es aus meinem Geiste herauf. Tieck N. 5, 182; Er gähnt sich hin [sehnt sich gähnend hin] zu seinen Wäldern. Tiedge Ep. 1, 71. Mít-: mit Andern gähnen. Nāch-: Wenn Einer gähnt, gähnen die Andern nach (mit). Um-: tr.: gähnend umgeben: Abgründe umgähnten mich zu allen Seiten. vHorn rhD. 2, 7. Ver-: tr.: gähnend verbringen: Die Zeit v. etc. Immermann M. 2, 8. Zū-: Einem gähnend zuwinken, zurufen, auch tr.: Abgrund und Chaos gähnen ihm verschlingende Rachen zu. Tieck N. 6, 123 etc.