Faksimile 0524 | Seite 516
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Fülle
Fülle, f.; –n:
Das, womit Etwas gefüllt wird od. ist; das Gefüllt-, Vollsein, im Ggstz. der Leere etc.:
1) Gefäß zum Aus- und Einfüllen, Füll-Kelle, -Löffel etc.: Aus welchem man den Talg mit einer F. ausschöpft. Karmarsch 1, 412; 3, 260 u. o.
2) Das, was in Etwas, um es zu füllen, hineingethan wird:
a) Kochkunst: Füllung, Füllsel, Gefüll, s. auch Farce: Die F. eines Kohlkopfs, einer Gans etc., vgl. 3.
b) Füll- Bier, -Wein etc. zum Auf- und Ausfüllen der Fässer.
c) (bibl.) bei den Juden das Füllopfer, die Füllung, womit den Priestern „die Hände gefüllt“ wurden (s. 2. Mos. 28, 41; 29, 9 etc.). 2. Mos. 29, 22 ff.: vgl. jedoch: Deine F. und Thränen. 22, 29, mit der Randglosse: F. heißet er alle harte Früchte, . .. da man Speise von machet, Thränen . .. alle weiche Früchte, da man Saft und Trank von machet, als da sind Weintrauben, Öle. Luther SW. 64, 19.
3) Das, wovon Etwas voll ist, der es erfüllende Inhalt: Einem die F. seines Herzens ausschütten (s. 5). So nam. im Ggstz. der den Inhalt fassenden Hülle, vgl. zu 5 gehörig: Jahre mag, Jahrhunderte lang die Mumie dauern, | mag das trügende Bild lebender F. bestehn, | bis . . . an das hohle Gebäu rühret die Noth. Sch. 76b; Weil diese [Gedichte] vom . . . Oriente die Hülle borgten für die F. des Occidents. Platen 6, 63. Und daher die Zusammenstellung: Die Hüll’ und die F., alles Erforderliche in reichem Maße, vgl. das Sprchw.: Hat der Bettler was, fehlt es ihm am Faß, z. B.: Käufer die Hülle und F. Alexis H. 2, 1, 167; Ich habe Guts die Hüll’ und F. L. 1, 121; Ich schicke dir . keine . . Bücher, weil du aus der . . Bibliothek die Hülle und die F. haben kannst. Platen 6, 115 etc., nach Adelung urspr. von Kleidung (Hülle) und Nahrung (Füllung des Magens) s. 4.
4) der reiche Vorrath, wonach Etwas in vollem Maß vorhanden ist, der Alles ausfüllt, so daß nirgend ein Mangel, eine Lücke erscheint: Die F. des Reichen lässt ihn nicht schlafen. Pred. 5, 11; Wer da hat, Dem wird gegeben, daß er die F. habe. Matth. 13, 12; Brots die F. haben. 3. Mos. 26, 5; Hatten die F. Brot zu essen. 2, 16, 3; Brot die F. haben. Luk. 15, 17 etc.; Brot in F. haben; Von seiner F. haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Joh. 1, 19; In ihm wohnet die ganze F. [Vollkommenheit] Gottes leibhaftig. Koloss. 2, 9; 1, 19 etc.; Die F. seiner Schande | sei Sühne dir. Chamisso 4, 49; Jch habe dich das ist die F.! | ich habe dich mein Wünschen ruht. Freiligrath Garb. 76; Gellert 2, 229; Er befindet sich .. mitten in der F. und schwelgt. G. 3, 196; Farbe her! dein Meisterwille | schafft ein sichtliches Gedicht; | doch bescheiden in der F., | du verschmähst die Worte nicht. 6, 74; Da magst du die F. der Liebe dir erwarten. 10, 272; Diese F. der Gesichte. 11, 24 [der Reichthum der mir sich zeigenden Erscheinungen, s. Geister-F.]; Der Thaten stärkste F. | durch würd’ge Lieder auf die Nachwelt bringen. 13, 125; 31, 19; 41, Die gewöhnliche F. an Mangel und den großen Überfluß an Bedürftigkeit. Kohl J. 2, 3; Zum erstenmal, seitdem ich sie geboren, | umfass’ ich meines Glückes F. ganz [die beiden vereinten Söhne, die mein volles Glück ausmachen]. Sch. 492a; Kassen seiner Finanzaufseher, in denen eine F. herrschte, die mit der Leerheit der königlichen .. einerlei Ursache hatte [s. 5]. W. 7, 124. In diesem Sinn ist die Mz. ungw., doch gebraucht sie häufig Rückert z. B.: So wurden neue F–n | des Lobgesanges wach. 1, 99; 104; Wie unscheinbares Kraut des Duftes F–n hütet. BE. 352; Aus F–n deines Borns. Rost. 54a; Das Unglück .. verschlang die F–n | des Meers, das der Versiegung schien zu spotten. Mak. 1, 107; 200 u. o.
5) das Vollsein, s. voll, z. B.: Ein Faß, das Herz, der Busen, die Wangen, der Körper, der Wuchs, ein Ton ist voll, daher: Die F. des Fasses; Verhülle | des schönen Busens F. Freiligrath 1, 294; Daß mir nicht das Herz | vor Füll’ und Freude brechen sollte. G. 8, 123; Da klang so ahnungsvoll des Glockentones F. 11, 34; Aus Füll’ und Leere bildet sie Bewegung [beim Pumpenwerk etc.]. 6, 26; In schlanker F. [des Körpers, Wuchses]. Hölderlin H. 1, 90; Aus Leerheit oder F. des Herzens. W. 20, 164 etc. Ungw.: Daß der versammelte Himmel der Zeiten F. [Erfüllung, = daß die Zeit voll, erfüllt sei] vernehme. Kl. Rückert hat auch hier die sonst ungw. Mz.: Daphne, die . . ihres Busens rege F–n | in die rauhe Rinde schloß. 1, 17.
6) Kohlenbrenn.: eine auszufüllende Grube im Meiler.
Anm. Von voll s. Sanders Orth. 18, mit der Nbnf.: Völle der ertheilten Gnaden. Spee 190; Durch solche Abstinenz zu der Völle [Saufgelage] lustiger. Ryff Sp. 111b; so noch: In des Menschen Brust | liegt der Welten Völle, | liegt des Himmels Lust | und die Qual der Hölle. Rückert 1, 111; N. 59; Rückt vor! dringt ein! recht in des Wirrwarrs Völle. Schlegel Rich. III. 5, 3 etc., vgl. Füllerei. Verwandt, aber nicht gleichbedeutend, ist das veralt.: die Viele, indem es wie das heutige Menge (s. d.) eine große Zahl von einzelnen Gegenständen, nicht aber die innerliche Aus- und Erfüllung, die Intensität bez., z. B.: Aquitania . .. wird also genennet von überflüssiger Viele der durchfließenden Wasseren. Stumpf 142a: Eine große Viele Erdrichs und Gesteins. 390a etc. Als Bstw. z. B.: Deren erstes Grün für die Folge den füllereichsten Anblick versprach. G. 15, 25; aber: Füllreich. Spindler St. 1, 55.
Zsstzg. z. B.: Erfahrungs-F. [reiche Erfahrung] habt ihr wohl gewonnen. G. 12, 90; Wo Geister-F. [4] mich umgab. 11, 28, vgl. 24; Seligkeit und Himmels- Völle [Anm.]. Rückert 2, 320; Jugend-F. . . rings umher! Matthisson 15; Pröhle J. 146; Von der ganzen überschwänglichen Lebens-F. Prutz DM. 1, 2, 513; Wer brach sie [die Knospen] . . auf | zu solcher Liebes-F.? WMüller Gd. 1, 228; Alle sel’gen Liebes-F–n. Rückert 1, 385; Die wuchernde Über-F. des Geistes. Gutzkow R. 7, 449; Der Busen vollkräftig ohne Über-F. Stahr Par. 1, 140 etc., ungw.: Die Ü. [das Überfülltsein] mit neugierigen Fremden. Gutzkow Zaubr. 3, 146; Die gesammte allgemeine Wesens-F. göttlicher Machtvollkommenheit. Stuhr Rel. 229; Die Wonne- F. Sch. 3a etc.