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Fressen
I. Fréssen, fraß, fräße; gefressen; (du, er) frisst; friß:
tr. und intr. (haben): urspr. aus ver-essen = essend aufzehren, verzehren, zerstören: zunächst von lebenden Geschöpfen und zwar allgm. von Thieren = essen; von Menschen aber mit tadelndem Nebensinn: thierisch essen, mit Gier, im Übermaß, in einer dem Anstand zuwiderlaufenden Weise etc. oder in niedriger Sprechweise und einigen sprchw. Wendungen. Ferner von leblosen Dingen und einigermaßen personificierend von Abstrakten auch in der gehobnen Sprache —: zerstörend wirken, verzehren, vernichten (vgl. ätzen) etc.
1) absolut: Der Mensch isst, das Vieh frisst; weidm.: Die Raubthiere f. (s. aasen 4); Der Habicht (Falke, Vogel) frisst (s. kröpfen). Dazu wohl das sprchw.: Friß, Vogel, oder stirb! (vgl. Döbel 2, 190b), zu bez., „daß man Etwas nothgezwungen wählen muß“: Vogel, friß oder stirb! Wer nicht mitmachen wollte, war des Lebens nicht sicher. Hebel 3, 195; 335; Vogt Köhl. 77; vgl. [2]: Reim dich oder ich freß (friß Hebel 2, 176) dich. Denke nicht, hie ist viel zu f. Sir. 31, 19; Friß nicht so sehr (so gierig). 19; 37, 32; Mit F. [s. II,] und Saufen. Luk. 21, 34; Röm. 13, 13 etc. Scheidewasser, Höllenstein frisst [ätzt]; Zu tief hat schon der Haß gefressen. Sch. 497b etc. Soll denn das Schwert ohne Ende f.? 2. Sam. 2, 26; Das Feuer, der Krebs [s. Fresser], ein Übel frisst immer weiter, frisst um sich [greift zerstörend um sich] etc.
a) Oft im Partic.: Ein f–des Pfand, gepfändetes Thier; Ein f–der [um sich greifender] Schade; F–des [nagendes, verzehrendes] Herzeleid; F–d Feuer. Ps. 50, 3; Der f–dste Skepticismus. Gervinus Lit. 5, 109; [Die] Besitzung war eigentlich eine f–de, nicht eine nährende. Gotthelf U. 2, 325; Weil die Thränen der Trojaner, seiner Kinder, f–der waren als die Thränen der Griechen. H. 4, 41 etc.
b) man beachte auch mit aktivem Sinn (vgl. essen, Anm. 3): „Will ich dennoch heint nicht ungefressen [hungrig, nüchtern] bleiben“ und würget also das unschuldig Lämmlein und fraß es. Luther 5, 270b, versch. s. 2. Vgl. auch: Der um sich gefressene Unglaube, s. Danzel 12.
2) mit beigefügtem Ggstd., der verzehrt wird, als Obj. oder im Theilungssinn mitvon, ähnl. auch mit an (wodurch bez. wird, daß der Ggstd. nicht unverletzt, nicht heil bleibt, vgl. nagen und: an Etwas zehren und es verzehren), s. 1; und mit „in“ (vgl. 3): Die Mäuse haben ein Stück Käse, haben von, an dem Käse gefressen; Was die Raupen lassen, Das f. die Heuschrecken. Joel 1, 4; Ein böses Thier hat ihn gefressen [zerrissen]. 1. Mos. 37, 33 etc.; Die Juden] f. Schweinefleisch. Jes. 65, 4; Jer. 7, 21; Dan. 5, 21; Fürchtet euch vor dem Volke dieses Landes nicht, denn wir wollen sie wie Brot f. [vertilgen, verderben, zerstören]. 4. Mos. 14, 9; Alle Feinde, die dich gefressen haben, sollen gefressen werden. Jer. 30, 16; Das Schwert frisset jetzt Diesen; jetzt Jenen. 2. Sam. 11, 25; Der Griechen Schwert | frisst hungrig in die reiche Menge | der goldnen Sklaven (vgl. 3: dringt f–d ein etc.). Seume Gd. 179; Wer in der Stadt ist, Den wird die Pestilenz und Hunger f. Hes. 7, 15; Darum frisset der Fluch das Land. Jes. 24, 6; Die Rüstung .. habe .. das Mark des Landes gefressen. JvMüller 24, 188; Eurer Feinde Land soll euch f. 3. Mos. 26, 38; Das Feuer wird die Hütten f. Hiob 15, 34; Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen [verzehrt, aufgerieben]. Joh, 2, 17 etc.; Ihn frisst der Neid; Tägliche erscheinendeZeitungen f. [verschlingen, bedürfen] sehr viel Manuskript; Die Kälte frisst [zehrt zerstörend] am Leben. Chamisso 4, 53; Der Wurm, der das Herz mir frisst. 3, 225; Daß .. das Fräulein an der Haut der Lippen fraß [nagte, sich darauf biß]. Göckingk 2, 203; In der Natur f. sich [einander] alle Gattungen, alle Stände f. sich in der Gesellschaft. G. 29, 242; Gram .., der wie ein Geier dir am Leben frisst. 11, 67; Das Gefühl seines Standes frisst ihm das Herz. 9, 14; Ich wäre längst verhungert, aber ich fraß meine Rache [von dem Rachgefühl lebe ich]. Immermann M. 4, 63: Die Waffen frisst der Rost. Rückert Rost. 15a; Daß ich’s in jedem Glas Wein zu saufen, in jeder Suppe zu f. kriegen [immer den Vorwurf hören, ihn herunterschlucken, s. c und d] müßte: Du bist der Spitzbube. Sch. 183a; Er glaubt, alle Weisheit (Gelehrsamkeit etc.) allein gefressen zu haben, hält sich für einen Ausbund an Weisheit etc. Ungw.: Der eisenfressende trojanische Mars. H. 4, 40, s. Eisenfresser. Wir erwähnen noch besonders:
a) So bleib doch hier, wir werden dich nicht f. [auf-f.]. Keller gH. 2, 270; Gotthelf G. 226 u. o. = wir thun dir Nichts zu Leide, vgl. Kinder-, Menschen- Fresser.
b) Ich hätte Goethen vor Liebe f. [auf-f.] mögen. Merck’s Br. 2, 169; Sealsfield Tr. 1, 5 u. o., vgl. (II): Zum F. schön. Scherr Nem. 1, 105; Freßlieb. IP. 21, 96, s. auch 3 und: appetitlich, reizend etc.
c) ,„Bube!“ Den Buben sollst du mir f., vgl.: Jch will dir Das eintränken, und: Das Eingebrockte aus-f.
d) Etwas in sich f., z. B. Gram, Leid etc., es verschlucken, innerlich verarbeiten, ohne es zu äußern. Ps. 39, 3; (Waldis Ps. 39, 1); Luther 8 534a etc.
e) refl. (veralt.): Sich mit Etwas f., sich davon beschwert fühlen, darüber abhärmen etc., vgl.: Sein Fleisch f. Prediger 4, 5.
3) mit einem die Wirkung bezeichnenden Zusatz tr. und refl.: Die Raupen haben den Baum kahl gefressen; Die Pferde haben die Krippe leer gefressen; Sich den Bauch voll f. (Tieck N. 6, 36); Die Maus, das Scheidewasser hat ein Loch ins Tuch gefressen; Die Schmarotzer haben ihn arm, zum armen Mann gefressen; Sich satt, pumpsatt (G. 2, 201), dick und rund (W. HBr. 1, 140), krank, todt, zu Tode (Sir. 37, 34) f.; Den Tod an Etwas f.; Den (einen wahren) Narren an Etwas f., so viel Genuß an Etwas finden, daß man darüber gleichsam zum Narren wird, sich darin vernarren. Tieck 10, 13; Nov. 3, 100 u. o.
Anm. Goth. fritan aus fra-itan etc. Über die zweisilbigen Formen: Du frissest, er frisset, s. Sanders Orth. 69 ff. Mundartl.: Ich friß. Hebel 2, 176 etc. Vgl.: Weise ist’s, auch die kürzeste Dauer zu fressen savourer fehlt uns. Rahel 1, 335 = mit einer den Genuß gleichsam verlängernden Langsamkeit genießen, vgl. aufessen, auskosten.
Zsstzg. vgl. die von essen und ätzen, z. B.: Áb-: Die Raupen fressen die Blätter von den Bäumen, metonymisch: Die Bäume ab; Einem das Seinige, sein Gut a. Schaidenraißer 11a; 65a; Mich abgefressen und kahlgefressen. Immermann M. 3, 326. Etwas frisst Einem das Herz ab [plagt ihn empfindlich und lässt ihm keine Ruhe]. Auerbach D. 4, 49; G. 9, 47; Daß ihm sein eigner Herzwurm das Leben abfraß. Stumpf 62a; Sich das Herz a. [sehr grämen]. Schaidenraißer 65a etc.
An-:
1) [2] Die Mäuse haben den Käse, der Rost das Eisen angefressen; Alle Säulen durch Zeit und Witterung sehr angefressen. G. 30, 119; Schon hatte die üppige Flamme der thierischen Liebe den hohen Sinn, die feste Klugheit des Weibes angefressen. Klinger Giaf. 608; Angefressen von dem ätzenden Gifte der abstrakten Negation. Prutz DMus. 1, 2, 519; Selbst die Sprache ist angefressen von dieser faulen Verderbnis. Stahr Jahre 1, 188; Tieck 10, 51 etc.
2) Sich (Accus.) a., voll fressen; sich (Dat.) einen Bauch a., zulegen (s. anmästen etc.). Āūf-:
1) Etwas fressend aufzehren, von Thieren, gierigen Menschen, auch übertr. vom: Feuer. Weish. 16, 16; Zorn. 2. Mos. 32, 10; Wasserfluthen. Sch. 121a; Krankheiten. Klinger Th. 2, 182 etc. = verzehren, vertilgen; Ein Mann, der von Hochmuth .. ganz aufgefressen [verzehrt] wird. Forster Br. 1, 165; Von Grillen [Launen] aufgefressen. G. 29, 252; 11, 121; Diese Sache hat mir .. viel Geld im Beutel aufgefressen [gekostet]. Schweinichen 3, 71; Einen a., ihn zu Grunde richten, nam. sein Vermögen. Stilling 3, 12 etc., s. auch [2a und b].
2) Etwas fressend, ätzend öffnen, z. B.: Die Haut a. Mundartl.: Weil die Straße über Peterlingen aufgefressen war [ungangbar]. JoMüler 24, 139.
3) refl. [3]: fressend heranwachsen, gedeihn. Döbel 1, 89a, s. aus-f. 2. Aūs-:
1) Die Brühe aus der Schüssel, metonymisch: Die Schüssel a.; Sprchw.: Friß aus, was du einbrocktest [s. d.]. Sch. 192b etc. Die Pferde haben ausgefressen, das Futter aus der Krippe; auch: sind mit dem Fressen zu Ende; Die Mäuse fressen das Innre aus dem Käse den Käse; die Würmer eine Nuß aus; Alle meine Gebeine sind hohl, ein elendes Fieber hat das Mark ausgefressen. G. 9, 128; Wundersam von unten und hinten ausgefressene Felsbänke. 23, 350; 40; Wenn das ganze Land ausgefressen, ausgeraubt. Weidner 156; W. 8, 187; scherzh.: Einen aus dem Lande a., durch Ausfressen des Landes daraus vertreiben. HSachs 3, 1, 39a. Das Pferd hat die Bohne [s. d. 4c], hat sich ausgefressen; Buchdr.: Ausgefreßner Satz, wo die Lettern nicht die Zeilen füllen. Franke 200 etc.
2) Sich a., sich fett fressen. Döbel 1, 89b. Be-:
1) tr.: benagen.
2) refl. (veralt.): sich voll fressen, vgl.: sich besaufen. I. Durch-: fressend durchlöchern: Ein Käse, den Millionen Würmer und Maden d. und zermürbet haben. Tieck NKr. 2, 237; Musäus Ph. 1, 111etc. II. Dúrch-: 1) Das Scheidewasser hat ein Loch durchgefressen, durch das Zeug, meton.: das Zeug durchgefressen (s. I). 2) refl.: fressend hindurch gelangen: Um ins Schlaraffenland zu gelangen, muß man sich durch eine Mauer von Hirsebrei d., hindurch-f.; Das Scheidewasser frisst sich (hin)durch etc. Auch: sich fressend, schmarotzend durchbringen, dann allgemein = sich durchschlagen, durchbeißen, forthelfen: Plackerei, durch welche ich mich .. durchgefressen. B. 476a. Eīn-:
1) tr.: Etwas in sich fressen [2d], einschlucken, z. B.: Staub, Verdruß, Vorwürfe etc.
2) tr.: ätzend Eindrücke etc. hervorbringen; refl. und intr. (haben und sein): ätzend eindringen: Das Scheidewasser hat Löcher, hat sich, hat (ist, Anm.) tief eingefressen in die Platte; Wenn .. nicht das Meer des eingefreßnen [vgl. ausgefreßnen] Landes engen Strich .. benetzte. Nicolai 2, 98; Wie tief muß der Krebs des Neides .. sich eingefressen haben in das innerste Mark etc. Stahr Weim. 305.
Anm. Beim Intr. bez. haben noch eine Thätigkeit, sein nur die Ortsverändrung, das Eindringen. Fórt-: 1) weiter-f. 2) weg-f. Hêr-, Hin- etc.: Frisst sie [die Flamme] ungehütet um sich her [1]. G. 13, 165 etc. Das Schwert hat sie hingefressen etc., vgl. hin, dahin. Nam.: Hindürch-f., s. durch-f. [2]; Hinēīn-f., s. ein-f.: Das frisst mir ins Herz hinein. G. 11, 152; Immermann M. 4, 60; 110 etc. Mít-: mit Andern f., z. B. von Schmarotzern. I. Ǖber-: refl.: zuviel fressen: Ein Hund .. der täglich sich bis an den Schlund | harpyenmäßig überfraß. Ramler F. 2, 458. II. über-: Sich (Dat.) Etwas ü., bis zum Überdruß. Unter-: tr.: fressend unterhöhlen: Der Föhn löst große Schneefelder auf, unterfrisst sie theilweise. Tschudi Th. 230; 232; Was hinlänglich gelöst und unterfressen ist, stürzt zu Thal. 469; Eine solche Fläche muß der Wasserzugang .. mit einem Hohlraum unter-f., welcher etc. Volger EE. 261. Ver-:
1) tr.: fressend, durch Unmäßigkeit verzehren: So wirst du in kurzer Zeit das Kloster mit einander v. haben. Zinkgräf 1, 62; auch = zer-f.: Das Ganze ist aus .. Kalkstein gebaut, jetzt sehr verf. G. 23, 340.
2) refl.: sich den Magen verderben, sich über-f.
3) Ver-f. sein [1b]: unmäßiger Eßgier ergeben, fressig, ein Freßling. Dazu: Die Verfressenheit. Vōr-: s. voressen, und Stalder 1, 397, vgl.: Fürfresser. Gotthelf Sch. 24, der in der Wirthschaft hinter sich ist, von vorgegeßnem Brot lebt etc. Wég-: tr.: So oft die blinde Henne ein Korn aufgescharret hatte, fraß es die sehende weg. L. 1, 145; War Alles ratzenkahl weggefressen. Ruge Rev. 1, 168 etc.; Die Flamme wird .. durch den Odem ihres Mundes ihn w. Hiob 15, 30; Mein Auge frisst mir das Leben weg [ich zehre mich weinend auf]. Klagel. 3, 51; Jener prometheīsche Geier, der die Freude des Lebens wegfrisst. Gervinus Lit. 5, 162. Arbeiten und die kurzen Tage fressen mir die Zeit weg. JP. HV. 65; Platz w. [wegnehmen]. Tieck 10, 89. Wīēder-: aufs Neue fressen; auch das schon einmal Gefreßne: Reue, höllische Eumenide, die ihren Fraß wiederkäut und ihren eigenen Koth wiederfrisst. Sch. 113a etc. Zer-: tr.: überall an- u. durchfressen und so unbrauchbar machen, zernagen etc.: Der Rost zerfrisst das Eisen; Wenn ihm das Papier daran nicht zu gelb und wurm-z. gewesen wäre. Gutzkow R. 8, 8; Todes- angst zerfraß [zerstörte] seine Ruhe. Sch. 711a etc. Trotz aller Zerfressenheit seines Rufs. Mundt Kaisersk. 2, 138.