Faksimile 0606 | Seite 598
Faksimile 0606 | Seite 598
Faksimile 0606 | Seite 598
Glied
Glīed, n., –(e)s; –er; –chen, lein, (Mz.) –erchen, erlein; -, –er-:
ein Theil eines organischen Ganzen, insofern er zugleich als ein besondres, in sich abgeschloßnes, für sich bestehendes Einzelne erscheint: 1) eig., von den Theilen des Leibes und zwar in Sonderheit von den äußern, durch Gelenke verbundnen (s. Ephes. 4, 10 und vgl. Gliedmaß), wie denn G. urspr. auch Gelenk bed., z. B. noch: Daß er kein Gleich [s. d.] hab im Knie, doch halt ichs dafür, daß er solliche G. (Anm.) oder Gewerb hab. Ryff Th. 28; Alles ist G. und Alles Gelenk etc. G. 1, 283, s. G.-Schwamm, -Sucht, -Wasser etc. Nam.: Arme und Beine und deren bewegliche Theile, doch auch allgemeiner, wie oben angegeben: Seine gesunden, graden Glieder haben: Sich ein G. verrenken; Kein G. rühren können; Der Schreck fuhr mir in alle G–er. Platen 4, 401 etc.; Das fuhr mir durch alle G–er. G. 9, 42; Mir ist’s in alle G–er geschlagen, ich kann nicht von der Stelle. 6, 322 etc.; Doch mit Gebein und G. (Anm.) und Kopf | blieb er ein halber Klumpen. 4, 8; Der Schlummer spannt die müden G–er los. Sch. 31b; Wann er die G–er sich abgemattet durch Arbeit. V. 1, 193; Zerhackt ihn, G. für G. W. 20, 126; Streckt die G–erchen aus. Echtermeyer 368 etc. Doch auch: Die Zunge ein klein G. Jak. 3, 5; Wie der Mensch sich des Auges | köstlichen Apfel bewahrt, der vor allen G–ern ihm lieb ist. G. 5, 10; Kette, die sie so lange getragen hatte, daß diese schwere fremde Last gleichsam ein G. ihres elenden, kranken Körpers geworden. 10, 184; Die Nase ist auch ein G., ein jeder Theil des menschlichen Körpers, der sich von den andern sinnlich unterscheidet, heißt ein G., insoweit dieser Theil eine eigene Funktion hat, heißt er Gliedmaß etc. Mendelssohn 4, 1, 117 ff. 2) s. 1, ohne Zusatz, nam. als Längenmaß = Finger-G., z.B.: Von gliedslangen Stiften. G. 23, 345 etc. 3) s. 1, verschleiernder Ausdruck für Zeugungs-Glied, Ruthe (s. d.): Kombabisiert einen Leichnam, hängt sich das G. desselben um den Hals. Danzel 123; Hodensack und G. zusammengezogen. Heinse A. 2, 66 etc., vgl.: Der elfte Finger; Das dritte Bein. Droysen A. 2, 274 etc. 4) die in einander greifenden Ringe, Schaken einer Kette: 2. Mos. 28, 14; Immermann M. 4, 261 etc. 5) übertr. von 1 und 4: eine Person (Individuum) als Theil einer Genossenschaft, die unter dem Bilde des Leibes (vgl. Körperschaft, Korporation) aufgefasst wird: Wir sind G–er seines [Christi] Leibes. Eph. 5, 30; 4, 16 u. .; Um den Vater .. gedrängt des Hauses G–er. Chamisso 4, 106; Den derbsten G–ern dieser tüchtigen Gesellschaft. G. 19, 18; Möchten Sie sich zum nothwendigsten G–e unsrer Kette [4, vgl. Verband etc.] bilden. 18, 296; Daß ein treuloses G. den schweren Schwur verlacht. L. 3, 349; Unter die G–er der christlichen Kirche aufgenommen. Raumer Päd. 3, 1, 253 etc. S. Mit-G. 6) die Abstufungen, Grade der Geschlechtsfolge, insofern der Stammbaum vom Haupt ausgehend auf die Glieder oder Gelenke des Arms bezogen wird, z. B. im Schwabenspiegel, s. Frisch 1, 355b; Du bewahrst Gnade in tausend G. [Anm.] ..., auf Kinder und Kindeskinder bis ins dritte und vierte G. 2. Mos. 34, 7. 7) die einzelnen Theile einer Rede, eines Satzes, insofern sie ineinandergreifend das Ganze bilden, sei es in grammat. oder in logischer Beziehung (s. 1): Vorder-, Mittel-, Hinter-G. eines Satzes, Schlusses; Die ausgereckten, wackelnden, hexametrischen in kürzere, straffere jambische G–er zusammengezogen. B. 243b; Da ich die wielandische Übersetzung .. Periode für Periode, G. für G., Wort für Wort .. verglich. Eschenburg Sh. 507; Die G–er des zweiten Gesanges sind folgende. L. 3, 241 etc. 8) Rechenk.: die einzelnen Theile eines durch Rechnungsoperation verbundnen Ausdrucks: Die G–er einer Summe, Differenz, eines Produkts, einer Gleichung, eines Verhältnisses, einer Proportion; Das Vorder-, das Hinter-G. eines Verhältnisses; Die äußern, die innern oder Mittel-G–er einer Proportion. 9) Bauk.: die einzelnen Theile der Gesimse. Otte Kunstarch. 347; allgem.: woraus die Verzierungen der Gebäude bestehn: Krumme, grade G–er etc. 10) Botan.: bei Gräsern, der zwischen zwei Knoten befindliche Theil, Schuß. 11) Kriegsk., Turnk. etc.: eine Anzahl nebeneinanderstehender, wie Reihe der hinter einander stehenden Personen. Rüstow gK. 107; Jahn Turnk. 70; In Reih und G. marschieren; Aus dem G. treten; Schrecken reißt die feigen G–er | und seine Fahne sinkt. Sch. 7a etc. Auch übertr.: In Reih und G. die kleinern Fässer. Scheffel Tr. 38 etc.
Anm. Goth. lithus (m.), ahd. lid (m. und n.), lit, g(e)lit (n.), vgl.: Schaf das ungewöhnlich „gelied“ oder wandelbar „gelied“ hat. 3. Mos. 22, 23, zu goth. leithan, gehen (s. Gleit, Anm.), wovon unser leiten (s. d.), von dessen Synonym „lenken“ das ähnliche „Gelenk“ gebildet ist. Eine Spur des alten masc. erkennt man in der noch zuw. vorkommenden Mz.: Die G–e.
Zsstzg. vielfach, z. B.: Āūgen-: Fleming J. 208a; Olearius Rosenth. 2, 14, s. Augenlied. Bāū- [9]: G. 31, 260 ff.
Bēī-: s. Haupt-G.
Bínde-: zur Verbindung dienendes Glied: Die Konjunktionen sind die B–er der Sätze etc. Famīlien- [5]. Fínger- [1] und zwar: Hinter-, Mittel-, Vorder- oder Nagel-G. Fólge- [6]: auch übertr.: Begreift die Wohlthätigkeit eines befruchtenden Regens nicht früher, als bis es das in dem hundertsten F—e entstandene Butterbrot in den Mund steckt. Börne 2, 253. Gebūrts- [3]. Geschléchts- [3 und 6].
Hāūpt-: ein hauptsächliches Glied, im Ggstz. der Bei- oder Neben-G–er, nam. [9] die in einer Säulenordnung wesentlichen und nothwendigen Theile.
Hílfs-: Daß wir die Mittel-G–er, die H–er unserer Gedanken, die sich in der Gegenwart so flüchtig wie Blitze gegenseitig entwickeln und durchweben, nicht in augenblicklicher Verknüpfung und Verbindung vorführen und vortragen können. G. 18, 328.
Hínter-: z. B. [7; 8], s. auch Finger-G. Hūren- [1]: zur Wollust gemißbrauchtes Glied. 1. Kor. 6, 15. Kénnzeichen- [9]: einer best. Säulenordnung etc. eigenthümliches, sie kennzeichnendes Glied; Die Triglyphen sind K–er der dorischen Ordnung etc. Klōben- [4]: Bergb.: ein zur Verbindung gerißner Ketten in dieselben einzuhängendes eisernes Glied, Scher-G. Láng- [4]: bei den Sporern das krummgebogne Glied am Pferdezaum zum Einhängen der Kinnkette. Mít- [5]: Ein M. des Staats, der bürgerlichen, einer gelehrten Gesellschaft, des Raths, ein Raths-M.; Ehren- M. in einer Gesellschaft, den die Gesellschaft die Mitgliedschaft als Zeichen besonderer Verehrung außergw. ertheilt hat etc. Míttel- [7; 8]; s. auch Finger-G.; überh. ein in der Mitte befindliches, Etwas verbindendes, vermittelndes Glied: M–er, Dasjenige zu verbinden, was sich einander abweist. G. 15, 41; Ein M. zwischen dem Verstande und der Vernunft, die Urtheilskraft. Kant Kr. d. Urth. XXI; V etc.
Nāgel-: s. Finger-G.
Nêben-: s. Haupt-G. Rāths- [5]: Rathsmitglied. Sátz- [7]. Schām- [3].
Schêr-: Kloben-G.
Vórder-: [7; 8], s. auch Finger-G. etc. Zēūgungs- [3] u. ä. m.